IRAN - POLICY PAPER

Mideast Freedom Forum Berlin (MFFB) Mai 2014


Papier als PDF  

Gaining Time – die Strategie der Islamischen Republik Iran
in den Atomverhandlungen mit den P5+1

 


Executive Summary

Das Interimsabkommen über die Atomverhandlungen mit dem iranischen Regime bietet keinen Grund zur Entwarnung. Das Atomprogramm wird weiter vorangetrieben, ein Rückbau von Teheran vehement zurückgewiesen. Kurzfristig kommt es vor allem darauf an, ein Erodieren der bestehenden Sanktionen zu verhindern. Mittelfristig kann nur eine demokratisch verfasste Gesellschaft die atomare Bedrohung durch den Iran beenden.

 

Ausgangssituation: die Sanktionen wirken

Einkünfte aus Ölexporten machen rund die Hälfte des iranischen Staatshaushalts aus. Ende 2013 waren die Öleinnahmen auf weniger als die Hälfte des Stands von 2011 gesunken. Grund sind vor allem das Embargo der Europäischen Union auf Ölkäufe aus dem Iran sowie die Beschränkungen der Ölkäufe durch weitere Länder. Die Inflation stieg auf 50% und die iranische Wirtschaft schrumpfte 2013 um 5 %. [1]
 

Anderer Tonfall, selbe Politik

Die ideologischen Prämissen des politischen Systems der Islamischen Republik Iran lassen sich nicht mit denen säkularer Diktaturen oder der Konstellation im Kalten Krieg vergleichen. Oberste Ziele sind die globale Expansion des schiitischen Islamismus, der Kampf gegen die westlichen Gegner bis zum Endsieg [2] und die Zerstörung Israels. [3]

Der oberste religiöse Führer Ayatollah Khamenei ist in der Islamischen Republik Iran die unangefochtene höchste geistliche und politische Instanz des Landes, die bei allen innen- und außenpolitischen Fragen das letzte Wort hat. Unter dem Druck der Sanktionen entschied sich Khamenei zu einer Strategie der „heroischen Flexibilität“: Er signalisierte die Bereitschaft zu Gesprächen, ohne die Feindschaft gegenüber dem Westen und die Vernichtungsdrohungen gegenüber Israel aufzugeben oder abzuschwächen. [4]

Der Khamenei untergebene Hassan Rohani ist die Idealbesetzung für dieses Vorhaben. Er versteht es, im In- und Ausland als rhetorisch moderat zu gelten. Dies bedeutet jedoch in keinster Weise eine Abkehr von den strategischen Grundpfeilern der Theokratie im Iran. Im Gegensatz zum religiösen Laien Ahmadinejad war Rohani von Anfang an Teil des Establishments der Islamischen Republik und ein enger Vertrauter von Khamenei.

  • Rohani propagierte nach dem Umsturz von 1979 den gewaltsamen Export der islamischen Revolution rund um den Globus. [5]
     
  • Auch während der Amtszeit des vermeintlichen Reformers Khatami stand eine Distanzierung vom Terror gegen Israel niemals auf Rohanis Agenda. So befürwortete er in einem Interview mit der amerikanischen Nachrichtenagentur ABC 2002 auch den Terror gegen israelische Kinder, der „ohne Alternative“ sei. [6]
     
  • Rohani steht ein für die Kontinuität der massiven politischen, ökonomischen und militärischen Unterstützung des Assad-Regimes. Iranische Revolutionsgarden, die Hisbollah sowie im Iran ausgebildet schiitische Milizen halten Assads Regime am Leben, dessen Krieg gegen die eigene Bevölkerung bisher über 160 000 Tote gefordert hat. [7] Wie Khamenei sieht Rohani im syrischen verbündeten Regime die „Frontlinie zur Bekämpfung des Zionismus“, die keinesfalls geschwächt werden dürfe. [8]
     
  • Von einer Verbesserung der Situation bezüglich der Menschenrechte seit Rohanis Amtsantritt kann keine Rede sein: Weit mehr als die Hälfte der über 600 Hinrichtungen im Jahr 2013 fanden in Rohanis Amtszeit statt. [9] In den ersten beiden Monaten 2014 wurden bereits mehr als 170 Menschen hingerichtet. [10] Iran ist damit weiterhin das Land mit den weltweit meisten Hinrichtungen im Verhältnis zur Bevölkerungszahl und den meisten zum Tatzeitpunkt minderjährigen Hingerichteten. [11]
     
  • 1999 forderte Rohani die Todesstrafe für Anti-Regime-Demonstranten, [12] 2009 bestätigte er die Gültigkeit der Mordfatwa von Ayatollah Khomeini gegen den Schriftsteller Salman Rushdie. [13]
 

Rohanis Strategie in der Atomfrage

Bedrohungen für die Ziele der Herrscher in Teheran in Gelegenheiten zu verwandeln – so beschreibt Rohani das Leitmotiv seiner Politik. [14]

  • Der aktuelle iranische Präsident ist im Westen bekannt durch seine Rolle bei den Verhandlungen um das bis dato geheime und 2002 von iranischen Oppositionellen enthüllte iranische Atomprogramm. Zwar hat er in seinem Amt als Chefunterhändler mit den EU-3 (England, Frankreich und Deutschland) von 2003 bis 2005 den Stopp der Urananreicherung durchgesetzt. Dies allerdings nur, um die Überweisung des Iran-Dossiers an den Sicherheitsrat und daraus resultierende Sanktionen abzuwenden und gleichzeitig den Ausbau der Atomanlagen voranzutreiben. So brüstete Rohani sich in einer Rede vor dem Obersten Rat der Kulturrevolution (SCRC) damit, dass während der Gespräche andere Komponenten des Atomprogramms massiv weiter ausgebaut werden konnten. [15] Noch im Wahlkampf 2013 prahlte er, die Zeit zwischen 2003 und 2005 zur Installation tausender neuer Zentrifugen zur Urananreicherung genutzt und den Bau des Schwerwasserreaktors Arak vorangetrieben zu haben: „We did not stop, we completed the program“. [16]
     
  • Rohanis Außenminister Zarif versteht es als iranischer Verhandlungsführer, Rohanis und Khameneis Strategie praktisch umzusetzen, indem er Meinungsverschiedenheiten zwischen den westlichen Verhandlungsmächten ausspielt und diesen die Verantwortung für ein mögliches Scheitern der Verhandlungen zuschiebt. [17]

Von entscheidenden Zugeständnissen oder einem temporären Stop oder „Freeze“ des iranischen Atomprogramms kann jedoch bis dato keine Rede sein. Das Interimsabkommen schweigt über ballistische Raketen und die in der Anlage Parchin vermutete Forschung für Atomsprengköpfe. Auch im Bereich der Urananreicherung schreitet das Regime fort, da es sich im Abkommen die Zusage auf „Forschung und Entwicklung“ in diesem Bereich gesichert hat.
 

Ziele des iranischen Regimes für 2014 und darüberhinaus

Das zentrale Ziel des iranischen Regimes besteht darin, Zeit zu gewinnen und die Frist bis zur eigenen Atomwaffenfähigkeit unbeschadet zu überstehen:

  • Auf Basis der dargelegten Strategie wird das Regime versuchen, ein Maximum an Sanktionserleichterungen ohne substantielle Zugeständnisse in der Atomfrage zu erreichen. Zarif und alle weiteren relevanten iranischen Funktionäre haben erklärt, dass ein Rückbau des iranischen Atomprogramms nicht infrage komme und die „rote Linie“ der Islamischen Republik sei. [18]
     
  • Gleichzeitig hat der religiöse Führer Khamenei bereits erklärt, dass er nicht an einen Erfolg der Atomgespräche glaubt. [19] Um in diesem Fall mögliche neue Sanktionen zu neutralisieren und soziale Unruhen zu verhindern, fordert er einen „jihadistischen Ansatz“ in der Ökonomie: wirtschaftliche Autarkie in Schlüsselsektoren wie Nahrungsmitteln und Medizinprodukten. [20]
     
  • Ziel ist die atomare breakout-capability, die Möglichkeit, genügend atomares Material und technische Kapazitäten zu besitzen, um bei Bedarf in kürzester Zeit Atomwaffen herstellen zu können. Zarif nannte „Japan“ als Modell. [21]
     
  • In Syrien setzt das Regime weiterhin auf eine ungebremste Offensive für einen militärischen Sieg Assads über über seine Gegner – sowohl mit eigenen Truppen und Waffenlieferungen, als auch durch die Intervention der verbündeten Hisbollah. [22]
     
  • Innenpolitisch sind keine substantiellen politischen Erleichterungen in Sicht, das Regime sichert sich mit verschärfter Repression gegen die Bevölkerung ab. [23]
 

Regionale und internationale Auswirkungen

Das iranische Regime arbeitet weiterhin an Nuklearwaffen und muss unbedingt daran gehindert werden, sie zu entwickeln und die Fähigkeit zu ihrer Vollendung in kürzester Frist zu erlangen. Atomwaffen in den Händen des wichtigsten globalen Terrorunterstützers hätten weltweit verheerende Konsequenzen:

  • Im Nahen Osten würde dies sofort ein nukleares Wettrüsten und eine Verschärfung kriegerischer Auseinandersetzungen entlang der sunnitisch-schiitischen Spaltung zur Folge haben.
     
  • Israel müsste auf sich allein gestellt alle verfügbaren militärischen Optionen in Betracht ziehen. Ein Kompromiss zwischen Palästinensern und Israelis würde durch das gestärkte iranische Störpotential verunmöglicht.
     
  • Europa wäre in Reichweite iranischer Atomraketen und sähe sich einer möglichen engeren Kooperation zwischen Putins Russland und der Islamischen Republik gegenüber. Die Folgen der maßgeblich durch den Iran zu verantwortenden syrischen Katastrophe sind bereits jetzt dramatisch, wie der Mordanschlag eines aus Syrien zurückgekehrten Islamisten auf das jüdische Museum in Belgien zeigt.
 

Handlungsoptionen

Zur Abwendung dieses Szenarios ist es unabdingbar, dass die Regierungen Deutschlands und der EU-Staaten keinen Zweifel daran lassen, dass die atomare Bedrohung durch das iranische Regime keineswegs abgewendet ist:

  • Sanktionen bleiben das Hauptdruckmittel von deutscher und europäischer Seite. Bestehende Sanktionen müssen geschützt, ihre Durchsetzung aufrechterhalten bzw. verbessert werden. Dafür ist es wichtig, dass ihre Gültigkeit von prominenten Vertretern der Bundesregierung öffentlich und kontinuierlich vertreten wird.
    Die Compliance in der Sanktionsüberwachung durch Ministerien und Behörden muss entscheidend verbessert werden. [25]
     
  • Neben den praktischen Maßnahmen gegen die atomare Bedrohung durch das iranische Regime ist es wichtig, dass seine Meinungsmache mit Fakten gekontert wird:
    Die Herrscher der Islamischen Republik haben seit Jahrzehnten die Welt getäuscht und ihre bestehenden Verpflichtungen aus dem Atomwaffensperrvertrag gebrochen. Es geht in dieser Auseinandersetzung um die Beseitigung eines illegalen Atomwaffenprogramms, nicht um einen Kompromiss zwischen zwei legitimen Ansprüchen.
     
  • Nur unter Aufrechterhaltung und Steigerung des Drucks auf das Regime sind Zugeständnisse von diesem überhaupt denkbar. Eine dauerhafte Lösung des Atomstreits und anderer essentieller außenpolitischer Fragen sind mit der totalitär-antisemitischen Diktatur jedoch nicht möglich, sondern nur mit einem demokratischen Iran. Die kanadische Regierung hat bereits die Beziehungen zur Islamischen Republik abgebrochen und unterstützt stattdessen die demokratische iranische Opposition. Ökonomischer Druck verbunden mit einer politischen Unterstützung der demokratischen Kräfte kann diese ermutigen, einen politischen Neuanfang zu suchen.
   
Andreas Benl
Michael Spaney 
                                                    

Mideast Freedom Forum Berlin (MFFB)

Mai 2014
 

   

[1] Kenneth Katzman: Iran Sanctions, http://www.fas.org/sgp/crs/mideast/RS20871.pdf

[2] Iran’s Supreme Leader: Jihad Will Continue Until America is No More
http://news.yahoo.com/iran-supreme-leader-jihad-continue-until-america-no-180230486.html

[3] Khamenei: 'Israeli regime is doomed to failure, annihilation'
http://www.jpost.com/Iranian-Threat/News/Khamenei-Israeli-regime-is-doomed-to-failure-annihilation-332403

[4] Khamenei fordert Flexibilität in Atom-Verhandlungen, NZZ 18.9.2013
http://www.nzz.ch/aktuell/newsticker/chamenei-fordert-flexibilitaet-bei-atom-verhandlungen-1.18152570

[5] „The principle on which I end my talk is the question of exporting the Revolution beyond our borders. If the Revolution remains within the country it will be destroyed. … We must export our revolution to Iraq, to Kuwait, to Afghanistan and to all Muslim countries and to all the oppressed countries.“  Zit. nach Steven Ditto: Reading Rouhani: The Promise and Peril of Iran's New President, S.14, http://www.washingtoninstitute.org/policy-analysis/view/reading-rouhani-the-promise-and-peril-of-irans-new-president

[6] „Wallace: But let me ask you directly, when someone walks into a restaurant, to a Passover Seder, and slaughters innocent families, is that a freedom fighter?   Rohani: What should they do? What is the Palestinians' alternative? The Palestinians, whose children are being killed?   Wallace: So they should kill Israeli children?   Rohani: What is their alternative? You tell me what should these people do?  If these people are blowing themselves to pieces before anything else, this means there remains no alternative.“ Exclusive Interview with Iranian Adviser, ABC News, 12.9.2002, http://abcnews.go.com/Primetime/story?id=132082&page=1&singlePage=true

[7] Death toll in Syria’s war tops 160,000, activists say, Washington Times 19.5.2014
www.washingtontimes.com/news/2014/may/19/death-toll-syrias-war-tops-160000-activists-say/

[8] 'Keep anti-Zionist front in Syria strong', Press TV 10.1.2012, http://www.presstv.ir/detail/220357.html

[9] IHRDC Chart of Executions by the Islamic Republic of Iran – 2013, 3.1.2014, http://www.iranhrdc.org/english/publications/1000000225-ihrdc-chart-of-executions-by-the-islamic-republic-of-iran-2013.html#.UyB40IWjiId

[10] IHRDC Chart of Executions by the Islamic Republic of Iran – 2014, 5.3.2014, http://www.iranhrdc.org/english/publications/1000000425-ihrdc-chart-of-executions-by-the-islamic-republic-of-iran-2014.html#.UyB4pIWjiId

[11] World Coalition Against the Death Penalty: Iran executes four juvenile offenders in one week, 28.4.2014, http://www.worldcoalition.org/iran-executions-juvenile-offenders-children-rights.html

[12] Iran Hard-Liners Rally 100,000, AP 14.7.1999, http://www.apnewsarchive.com/1999/Iran-Hard-Liners-Rally-100-000/id-e95e6184e74c5a484f7d7f3634b421a2?SearchText=hassan%20rowhani;Display_

[13] Zitiert nach Ditto: Reading Rohani, S.28

[14] Wahied Wahdat-Hagh: Der iranische Präsident Rohani fragt: „Wir sollen das Atomprogramm gestoppt haben?, 7-8-2013“ http://jungle-world.com/von-tunis-nach-teheran/2275/

[15] „While we were talking with  the Europeans in Tehran, we were installing equipment in parts of the facility in Isfahan. . . . in fact, by creating a calm environment, we were able to complete the work in Isfahan. Today, we can convert yellowcake into UF4 and UF6, and this is a very important matter.”
Zitiert nach: Dr. Chen Kane: Nuclear Decision-Making in Iran: A Rare Glimpse, http://www.brandeis.edu/crown/publications/meb/MEB5.pdf

[16] Reza Kahlili: Tape Reveals Deceit of Iran's New President, http://www.youtube.com/watch?v=cjbrqPK-BBg (Min. 3:45)

[17] Steven Ditto: Rouhani's Negotiating Strategy: Divide and Isolate, http://www.washingtoninstitute.org/policy-analysis/view/rouhanis-negotiating-strategy-divide-and-isolate

[18] „We're not going to close or dismantle anything, that is our red line“, AP 5.3.2014, http://abcnews.go.com/International/wireStory/iran-stands-firm-maintaining-nuclear-program-22778951

[19] Iran's supreme leader says nuclear talks will 'lead nowhere', LA Times, 17.2.2014, http://www.latimes.com/world/worldnow/la-fg-wn-iran-nuclear-talks-supreme-leader-20140217,0,3958428.story#axzz2tf7tOZRd

[20] Iran News Roundup, 11.3.2014, http://www.irantracker.org/iran-news-round-march-11-2014

[21] „In puncto Atomtechnik argumentierte Zarif in Berlin knallhart. Er wolle, dass Iran die Atomenergie uneingeschränkt verwenden kann – »so wie Japan«. Japan verfügt über 44 Tonnen Plutonium – ausreichend für 5000 Atomwaffen des Nagasaki-Typs. Der Unterschied, den Zarif nicht erwähnte, besteht darin, dass Japan, anders als der Iran, nicht nur eine Demokratie ist, sondern auch eine Macht, die den internationalen Status quo tatsächlich erhalten will und nicht mit Atomwaffen droht.“
Matthias Küntzel, Ein Blender zu Besuch, Irans Außenminister auf Deutschland-Visite, Jüdische Allgemeine, 6.2.2014, http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/18326

[22] Iran boosts military support in Syria to bolster Assad, Reuters, 21.2.2014, http://www.reuters.com/article/2014/02/21/us-syria-crisis-iran-idUSBREA1K09U20140221

[23] Rouhani has not increased freedoms in Iran, U.N. chief says, Reuters, 11.3.2014, http://uk.reuters.com/article/2014/03/11/uk-iran-un-rights-idUKBREA2A1OV20140311

[24] Vgl. dazu: Bundesregierung verweigert Antwort auf Fragen zu Ventillieferung für iranische Atomanlage, Pressemitteilung des SPD-Bundestagsabgeordneten Klaus Barthel, 12.9.2013, www.spdfraktion.de/presse/pressemitteilungen/bundesregierung-verweigert-antwort-auf-fragen-zu-ventillieferung-f%C3%BCr-irani