Die partielle Doppelstrategie der Regime-Anhänger zum Quds-Tag in Frankfurt 2024

von Emil Mink

Sie finden die ausführliche Recherche zum Frankfurter Quds-Tag 2023 hier (HTML-Version) und hier als PDF-Version mit einem Vorwort der Frankfurter Bürgermeisterin Dr. Nargess Eskandari-Grünberg. Die MFFB-Pressemitteilung zum Quds-Tag 2024 in Frankfurt ist hier lesbar. 

Beim diesjährigen Quds-Tag in Frankfurt haben die Akteure des Avci-Netzwerks mehr als noch im Vorjahr auf eine Doppelstrategie gesetzt, um sich nach außen als Aktivisten für Menschenrechte zu inszenieren während für das Szenepublikum der Bezug zur Islamischen Republik und deren Ideologie allzu deutlich wurde.

Um die 700 Menschen folgten dem diesjährigen Aufruf des Avci-Netzwerks in die Main Metropole. Beworben wurde die diesjährige Demonstration zum Quds Tag ohne ersichtlichen Bezug zur weltweit organisierten Propagandaveranstaltung des iranischen Regimes. „Stoppt die Auslöschung Palästinas! Groß-Demo für Gaza“ stand schlicht auf dem verbreiteten Bild, das leidende Menschen vor einem Bomben fallenden Horizont zeigt. Nur der zentrale Aufmarschtag und die Kontaktnummer machten deutlich, dass es sich bei der Demonstration, die am 6. April um 14:00 Uhr am Hauptbahnhof startete, um den diesjährig größten Aufmarsch zum Quds Tag in Deutschland handelt.

 

Auf diese Doppelstrategie ist sicherlich zurück zu führen, dass die Demonstration mit 700 Teilnehmern einen Höchststand in ihrer neunjährigen Geschichte erreichen konnte. Ein weiterer Faktor ist jedoch auch das Massaker der Hamas und deren Verbündeter am 7. Oktober und die darauf folgende antisemitische Mobilmachung, die mit kontrafaktischen Vorwürfen von Genozid, Völkermord und Apartheid aufwartet, die an ein links-aktivistisches Milieu anschlussfähig sind. Eben jene Vorwürfe waren es, die dieses Jahr durch Parolen und (zumindest die deutsch- und englischsprachigen) Reden bemüht wurden. Die zu rufenden Parolen wie „Freiheit für Palästina“, „We are all Palestinians“, „Stop the genocide“ wurden zum Auftakt des Marschs vom Moderator Yunus Çakar aus Osterholz-Scharmbeck vorgegeben, der in dieser kurzen Ansprache auch verlautbaren ließ, warum das Avci Netzwerk an diesem Tag demonstrieren geht. Man sei für die palästinensische Bevölkerung, gegen Tyrannei und Ghettoisierung, Siedlungen und Besatzung. Das „Apartheidssystem“ Israel sei ein schweres Verbrechen gegen das Völkerrecht und gegen die Menschenrechte, sagt der Anhänger der Islamischen Revolution Çakar.

Um den Mobilisierungsgrad zu erhöhen wurde zudem auf zwei grundsätzliche Prinzipien der letzten Jahre verzichtet. Zum einen wurden keine Flaggen derjenigen islamischen Staaten geschwungen, die zum iranischen Einflussgebiet imaginiert werden und bei allen vorherigen Demonstrationen präsent waren – die Fahnen Syriens, Bahrains, des Jemen, des Irak, des Libanon und andere. Ausschließlich Fahnen Palästinas, der Islamischen Republik und eine Flagge der Bundesrepublik Deutschland waren zu sehen. Zum anderen wurde nicht grundsätzlich in geschlechtergetrennten Blöcken marschiert, wenngleich die bekannten Kader des Avci-Netzwerks den Zug wie in den Vorjahren angeführt haben.

Neben dem Sohn des Netzwerkgründers Ismail Avci waren auch der Augsburger Imam Halil Karamercan, Ibrahim und Yunus Çakar aus Osterholz-Scharmbeck und Seyyid Musevi aus Den Haag vor Ort. Abdürrahim Almaz hat wie im vergangenen Jahr die Koran Rezitation übernommen. Frauen und Männer konnten dieses Jahr jedoch nebeneinander an der Demonstration teilnehmen, wenngleich größere Männer- und Frauengruppen aus dem streng religiösen Spektrum erkennbar waren. Die Blockbildung wurde also nur partiell beziehungsweise scheinbar aufgelöst.

Durch die unscheinbarere Mobilisierung, die nach Menschenrechtsaktivismus klingenden Sprechchöre sowie das Aufweichen der islamistischen Außenwirkung wurde die Demonstration attraktiver gestaltet für Teilnehmer außerhalb des Netzwerks, die sich auf Grund des antisemitischen Zeitgeists aktuell aus verschiedenen Spektren rekrutieren.

Das hat in Teilen funktioniert, auch wenn sich ein Großteil der Demonstrationsteilnehmer weiterhin aus dem religiös-schiitischen Milieu zusammen gesetzt hat. Eine Gruppe arabischer Männer, die dem in Frankfurt ansässigen „Kuffiya Netzwerk“ zuzuordnen sind, haben, mit einer Trommel unterlegt, arabische Sprechchöre angestimmt. Darüber hinaus waren vereinzelt Teilnehmer aus dem linksautoritären Spektrum zu erkennen. Zwei zentrale Akteure der sogenannten „Studis gegen rechte Hetze“, als auch Mitglieder der mittlerweile eher dem postlinken und verschwörungsideologischen Milieu zuzuordnenden Gruppe „Widerstand 4.0“ waren auf dem Frankfurter Quds Tag zugegen. Im Vorhinein wurde die Demonstration neben Aufrufen von Palästina Gruppen aus Marburg und Wiesbaden sowohl von „FreePalestineFFM“ als auch der „Revolutionären Linken Hessen“ beworben. Letztere löschte den Aufruf wieder nach einer öffentlichen Kritik des geplanten Schulterschlusses. Für die antiwestliche und autoritäre Linke scheint es kein Widerspruch zu sein, für ein zentrales Propaganda Event eines Regimes zu werben, das die politische Opposition massenhaft inhaftiert und exekutiert und die Menschenrechte sukzessive aushebelt.

Über den Kanal eines schiitischen Influencers wurden auf dem diesjährigen Quds Tag mehrere Menschen nach ihrer Motivation beziehungsweise nach einem Statement gefragt. Dabei war auffällig, dass bis auf die Person Yavuz Özoğuz keine Personen aus dem fundamental religiösen Spektrum interviewt wurden, sondern besonders diejenigen, die man dieses Jahr über das Netzwerk hinaus mobilisieren wollte und die besonders den Jargon um Menschenrechte und Frieden bemühten. In einem Videobeitrag des Hessischen Rundfunk hält ein Teilnehmer kein Blatt vor den Mund und fordert kurzerhand „Free Hamas“.

Dass der Aufmarsch vom 6. April in Frankfurt ein zentrales Event regimetreuer Netzwerke darstellt, beweist nicht nur die Organisationsstruktur und die Flaggen der Islamischen Republik Iran. Bei aller Strategieanpassung haben sich die Organisatoren nicht nehmen lassen, die Porträts ihrer geistigen Führer am vorderen Ende des Marsches zu positionieren. Neben den iranischen Revolutionsführern Khomeini und Khamenei war in mehrfacher Ausführung das Konterfei des Offenbacher Imams und Netzwerkgründers Muhammed Avci zu erkennen.

Besonders in der weder englisch- noch deutschsprachigen Agitation trat deutlicher zu Tage, was die eigentliche Agenda ist. So wurde mehrfach ein Lied der schiitisch-libanesischen AL-ISRAA Band über die „Befreiung“ Jerusalems abgespielt. In Videos der Band werden Kämpfer der Hisbollah heroisiert, während wiederum der Propagandasender der libanesischen Terrororganisation Al-Ahed News das in Frankfurt abgespielte Lied als offizielle Hymne des Quds Tags bezeichnet, dem Anfang der 2000er Jahre Hisbollahboss Hassan Nasrallah und Ramadan Abdullah Shalah, General des Palästinensischen Islamischen Jihad (PIJ), noch gemeinsam gelauscht haben.

Ähnlich verhält es sich mit der Musik, mit der das Netzwerk seine eigene Videoauswertung für dieses Jahr unterlegt hat. Im Musikvideo des Liedes „Al Quds ist Unser“ des regimetreuen Liedermachers Mojtaba Allahverdi wird eine Katastrophe über Jerusalem beschworen, die die dort lebenden Juden erzittern und zur Flucht zwingen lässt. Er selbst befindet sich in einem mystischen Katakomben und ruft nach dem Propheten Ali, der es zu Lebzeiten auch schon geschafft habe, die Juden in Chaibar zu unterwerfen. An einem gedeckten Tisch kommen verschiedene Akteure des Regimes zusammen, ein Revolutionsgardist blickt voller Ehrfurcht auf den eintretenden Ali, der gekommen ist um Jerusalem von den Juden zu reinigen. Die (Bild-)Sprache ist mehr als deutlich.

Genauso verhielt es sich mit der Abschlussrede des Quds Marschs vom Sohn des Netzwerkgründers Ismail Avci, dessen Rede schon im Vorjahr mit allerlei antisemitischem Geraune gespickt war. Auf türkisch fabulierte er von den Zionisten als blutrünstige und gierige Weltenfresser, die die Reichtümer der Welt und die Arbeit der Menschen ausbeuten würden, die die Menschheit von Massaker zu Massaker treiben und die Völker manipulieren würden. Zum Ende der Rede vergleicht Avci die Zionisten mit Ungeziefer wie bluttrinkenden Fledermäusen, Tausendfüßlern und Schlangen, deren Ausbeutung der Menschheit sich an diesem Quds Tag in den Weg gestellt würde. Es sei der Beginn einer Ära, in der die vermeintlich Gerechten regieren werden und aus ihrer Gutmütigkeit heraus, den Zionisten sogar das Weiterleben zugestehen.

Ein weiterer Beweis für die Nähe zu den zentralen Schaltstellen der Islamischen Republik war die mediale Begleitung durch mindestens zwei Propaganda Sender des Regimes. Zum einen der Auslandssender der staatlichen iranischen Rundfunkgesellschaft Press TV, in dessen Berichten bereits mehrfach der Holocaust geleugnet oder relativiert wurde und etwa den „Juden und Amerikanern“ die Schuld am Coronavirus gegeben wurde. Zum andern der den Iranischen Revolutionsgarden (IRGC) nahestender Nachrichtensender Fars News. Beide berichteten stolz vom Frankfurter Aufmarsch.

Die Doppelstrategie der Regime Anhänger um das Avci Netzwerk ist in Teilen aufgegangen. Durchaus haben sie mittels des unscheinbaren Aufrufs, der zugeschnittenen Parolen und Redebeiträge sowie der Strategieanpassung hinsichtlich der Blockbildung Teilnehmer außerhalb ihres Netzwerkes mobilisieren können. Gleichzeitig wurde der Frankfurter Aufmarsch besonders in der Online Rezeption regimenaher Medien und auf der hauseigenen Publikationsplattform als großer Tag für den Export der Islamischen Revolution verkauft.