Redebeitrag von Jahne Nicolaisen und Alissa Weiße (MFFB)
Bei den Mahnwachen gegen Antisemitismus am 07. Juni 2024 in Berlin-Mitte
Wir freuen uns sehr, dass wir heute hier eingeladen wurden, vielen Dank, wir sind Jahne Nicolaisen und Alissa Weiße, meine Kollegin. Wir vertreten hier heute das Mideast Freedom Forum Berlin, das 2007 gegründet wurde, um gegen Islamismus, Antisemitismus und Rechtsextremismus sowie für Demokratie im Nahen Osten und hierzulande einzutreten. Neben verschiedenen Veranstaltungen, die wir organisieren, arbeiten wir auch in der politischen Bildung und geben Politikberatung hauptsächlich zu Iran und Israel.
Es ist schön, zu sehen, dass heute so viele Personen hierhergekommen sind, zu den „Mahnwachen gegen Antisemitismus“. Wir glauben, wir müssen den meisten von euch nicht erzählen, wie gerade die gesellschaftliche Lage ist. Seit dem 07. Oktober hat es einen sehr unfassbar starken Anstieg von Antisemitismus gegeben - nicht nur in Berlin, nicht nur in Deutschland, weltweit. Was uns dabei am meisten schockiert: Die Entsolidarisierung mit antisemitismuskritischen und vor allem jüdischen Menschen, das breite Schweigen zu ihren Erfahrungen.
Wir möchten heute die Gelegenheit nutzen, um über den verheerenden Antisemitismus zu reden, der sich an Berliner Universitäten ausbreitet. Mit moralischer Selbstgerechtigkeit protestieren sogenannte pro-palästinensische Student:innen an Berliner Universitäten und machen das Campusleben für andere zur Sisyphos-Arbeit. Wir fragen uns: Hilft es den Palästinensern? Auf palästinensische Menschen beziehen sie sich in der Regel nur, wenn es gegen den jüdischen Staat geht. Nicht einmal die relativ simple Ambiguität wird zugelassen, sowohl konkrete Kriegsoperationen des israelischen Militärs als auch das islamistische Terrorregime der Hamas zu kritisieren. Das konkrete Schicksal von Gazanern interessiert in der Regel nur, wenn damit gegen den jüdischen Staat gehetzt werden kann. Das reale Leid wird instrumentalisiert, um Israel mit den schlimmsten Verbrechen zu dämonisieren. Die Palästinenser in Gaza, die unter dem Motto "Wir wollen leben!" 2017, 2019 und 2023 gegen die Lebensbedingungen in Gaza protestierten, Friedenssignale mithilfe von weißen Tauben an Israel sendeten und Widerstand gegen die Terrororganisation Hamas im Gaza Youth Committee organisierten, kommen kaum vor.
Die Möglichkeit, dass man als linker Student - ohne die folgenden irgendwie auf eine Stufe zu stellen - sowohl gegen Netanjahu und seine rechtsradikalen Koalitionspartner Ben Gvir und Smotrich als auch gegen die Hamas sein kann, wird kaum thematisiert. Ein Skandal! So ist es sehr fraglich, dass die vorherrschenden Campus-Proteste den Palästinensern in einem aktuell utopischen Weg hin zu kollektiver demokratischer Selbstbestimmung wirklich helfen wird. Genau das bezweifelte der Gazaner Hamza Howidy in einem Beitrag für die amerikanische "Newsweek". Weitere palästinensische Regimekritiker, die zeitweise in Gaza lebten, wie die Journalistin Manar Al-Sharif, der Aktivist Mohammed Altlooli, der politische Analyst Mohammed Fouad Alkhatib sind zu wenig bekannt in Deutschland. Diese Regimekritiker:innen haben alle schwere Repressionen durch die Hamas erfahren, kamen zwischenzeitlich ins Gefängnis, wurden gefoltert und sind schlussendlich geflohen.
Die Proteste im Gazastreifen sind dennoch natürlich verhältnismäßig sehr gering - wer protestiert, ist in Todesgefahr. Es ist der Hamas gelungen, über die Jahrzehnte die Menschen zu radikalisieren und für ihr selbstmörderisches Programm einzuspannen. Hunderte Bewohner nahmen an dem Pogrom vom 7. Oktober teil, indem sie plünderten, zerstörten, vergewaltigten, entführten und ermordeten. Es wird Jahrzehnte dauern, diese Taten ansatzweise aufzuarbeiten, sollte ein Machtwechsel in den kommenden Monaten überhaupt gelingen. Den tiefen Einschnitt, der einen Neubeginn in Gaza erlauben würde, wird es nicht geben, solange sich nicht andere Staaten aus der Region und auf der Welt dafür verantwortlich erklären!
Die gute Nachricht: Es gibt arabische Staaten wie Ägypten, Jordanien, Saudi-Arabien oder die Vereinigten Arabischen Emirate, die mit Israel zusammen an einem friedlicheren Nahen Osten arbeiten. Diese arabischen Staaten wollen sich gegen die iranische Bedrohung gemeinsam mit Israel verteidigen. Gegen antisemitische Terrororganisationen und das iranische Mullah-Regime ist Israel seit Jahrzehnten mal mehr, mal weniger direkt im Krieg. All diesen barbarischen Terrorbanden ist gemein, dass sie zivile Opfer für ihre eigene Propaganda instrumentalisieren und Israel dazu zwingt, zivile Einrichtungen anzugreifen, wenn dort Terroristen versteckt sind. Es ist das explizite Ziel der Hamas, Israel dazu zu zwingen, die Hamas-Kämpfer in zivilen Gebäuden anzugreifen. Es ist das Ziel der Hamas, durch die unvermeidlichen Tode Unbeteiligter den internationalen Druck auf Israel zu erhöhen, sich nicht gegen barbarische Feinde zur Wehr zu setzen, die den jüdischen Staat vernichten wollen. „Hinter dem Ruf nach Frieden verschanzen sich die Mörder“, sagte einst Zentralratspräsident Paul Spiegel.
Wir kommen nun zu dem Thema Campus-Proteste und akademischen Antisemitismus zurück: Es gibt etliche kluge Maßnahmen [dagegen], die umgesetzt werden müssen, doch die Hochschulleitungen scheitern - wenn sie nicht selbst das Problem sind – man denke an TU-Präsidentin Geraldine Rauch, Günter Ziegler an der FU oder von Blumenthal an der HU – wenn sie also nicht selbst das Problem sind, dann scheitern sie allzu oft an ihren eigenen Kolleg:innen, an den Professoren und Diversity-Beauftragten. Man kann über die Studierenden sicherlich viel Negatives sagen, doch gegenüber den Autoritäten an ihrer Universität sind sie teilweise machtlos: Wir meinen damit die Professoren. Am meisten erschüttert uns das Versagen der Intellektuellen, das breite Schweigen, Ignorieren und Relativieren der akademischen Elite gegenüber dem Antisemitismus in diesem Land.
Es ist ein Verrat an der Idee einer akademischen Gemeinschaft, wenn in dieser ein jüdischer Feind markiert wird, und die meisten kaum dagegen aktiv werden. Eine akademische Gemeinschaft, die so stolz ist auf ihre gewiss immer begrenzte Hochschulautonomie gegenüber dem Staat, auf ihre Wissenschaftsfreiheit in Deutschland, zehrt an ihren eigenen Werten und akademischen Strukturprinzipien, wenn israelische Universitäten zunehmend boykottiert und ausgeschlossen werden. Es droht so zunehmend eine wissenschaftliche Autonomie zu werden, die von Antisemitismuskritik und jüdischen Erfahrungen nicht gestört werden will. Wissenschaftsfreiheit ist nach dem Bundesverfassungsgericht nicht nur ein individuelles und institutionelles Abwehrrecht gegenüber äußeren Eingriffen, etwa durch den Staat. Neben dieser Abwehrdimension tritt eine Gewährleistungsdimension [hinzu], nämlich, die gerechte Freiheit aller Individuen, an der Wissenschaft teilzuhaben, zu fördern und durchzusetzen. Das ist die Verantwortung der Hochschulen.
Stattdessen begeben sich Wissenschaftler, die kritisiert werden, sehr gerne in eine Opferpose und tun so, als würde ihre wissenschaftliche Meinung unterdrückt werden.
Offene Briefe wie das „Statement against the Boycott of Israeli Academia“ sind wichtig und gut. Dennoch reichen sie nicht, um den antisemitischen Flächenbrand zu löschen. Nötig sind Koalitionen an den Hochschulen, wir müssen die interessierten Studierenden und Lehrenden beraten und verbinden, um gemeinsam Zustände verbessern zu können. Zugleich muss es auch ernsthafte Konsequenzen für das Überschreiten roter Linien geben. Neben der Prävention (1.) und der Intervention (2.) darf die dritte Säule der Antisemitismusbekämpfung, die Repression durch den demokratischen Rechtsstaat, nicht aus falscher Sentimentalität vernachlässigt werden. Bei Verstößen gegen fundamentale akademische Praktiken und Prinzipien muss es symbolische und personelle Sanktionen durch die Universität geben; bei Straftaten müssen Polizei und Justiz einschreiten.
Es ist die Verantwortung der nichtjüdischen akademischen Mehrheit zuallererst, gegen Antisemitismus und für ein jüdisches Campusleben einzutreten. Es braucht durch die Universitätsleitungen institutionelle Schutzkonzepte für die und mit den Betroffenen und langfristig besser informierte Meldestrukturen, gerade bezüglich israelbezogenen Antisemitismus. Gleichzeitig muss jüdischen Studierenden und Lehrenden eine hörbare und laute Stimme gegeben werden!
[Kurze Störung]
Wir müssen demokratisch gegen jede Form des Antisemitismus kämpfen, egal, ob linker, rechter oder islamischer Antisemitismus! Danke für eure Aufmerksamkeit.