Offener Brief an Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier

 

Am 5. Februar 2020 schickte ein zivilgesellschaftliches Bündnis aus Publizisten, Aktivisten und Künstlern auf Initiative des Mideast Freedom Forum Berlin einen offenen Brief an den Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier. Der Appell an den Bundespräsidenten lautete, in diesem Jahr kein Glückwunschschreiben anlässlich des Jahrestages der iranischen Revolution an das iranische Regime zu schicken. Stattdessen solle der Bundespräsident ein Zeichen setzen und iranische Oppositionelle im Exil im Schloss Bellevue empfangen. 

Wir freuten uns sehr, als uns die Nachricht erreichte, dass Frank-Walter Steinmeier auf das Glückwunschschreiben in diesem Jahr verzichten würde. Mit uns freuten sich Exil-IranerInnen weltweit (siehe Presselinks auf Persisch). Doch wir freuten uns zu früh: Nur einen Tag später hieß es in der Presse, dass doch ein Glückwunschtelegramm abgeschickt worden war, "versehentlich". Es soll angeblich besonders kritisch gewesen sein, doch was in der iranischen Presse daraus zitiert wurde, klang gar nicht kritisch (so zum Beispiel hier). Es ist außerordentlich bedauerlich, dass der Bundespräsident darauf verzichtet hat, im Nachgang hier eine klärende und eindeutige Stellungnahme abzugeben. Damit wurde eine wichtige Chance vertan, eine klare Haltung einzunehmen.

Im folgenden dokumentieren wir den offenen Brief und bedanken uns bei all denjenigen, die dieses Schreiben kurzfristig mit unterzeichnet haben. 

 

 

Berlin und andere Orte, 5.2.2020

Sehr geehrter Herr Bundespräsident Steinmeier, 

wir schreiben Ihnen als ein Bündnis von Menschen, die solidarisch sind mit den Protesten im Iran. Viele von uns kommen selbst von dort. Wir wenden uns an Sie, weil wir uns von Ihnen wünschen, dass Sie am 11. Februar, dem Jahrestag der Islamischen Revolution im Iran, ein politisches Zeichen setzen und sich an die Seite der Menschen stellen, die im Iran für die Freiheit kämpfen.

Am 11. Februar 2020 jährt sich die Gründung der Islamischen Republik im Iran zum 41. Mal. An diesem Tag errichteten Islamisten unter der Führung von Ayatollah Khomeini 1979 eine Diktatur, die seitdem mit äußerster Brutalität gegen die Menschen im Iran vorgeht. Proteste gegen die Diktatur im Iran gibt es seit ihrem Bestehen, doch seit dem Jahresende 2017 sind diese kaum mehr abgeebbt. Im November 2019 erlebte die Welt die brutalste Repressionswelle seit Jahrzehnten, 7.000 Menschen wurden verhaftet. In wenigen Tagen wurden laut Quellen der Nachrichtenagentur Reuters, die sich auf Informationen aus Irans Innenministerium beruft, mehr als 1.500 Menschen von den Sicherheitskräften der Diktatur erschossen. Die tödlichen Schüsse auf Kopf, Herz und Hals wurden vom Obersten Führer und vom Innenminister genehmigt. Trotz dieser äußersten Gewalt und Lebensgefahr bei jedem friedlichen Protest gingen die Menschen nach dem Abschuss eines zivilen Flugzeuges durch die Revolutionsgarden im Januar 2020 wieder auf die Straße.

Die Proteste zeigen: Die Menschen im Iran wollen die Unterdrückung, die Bevormundung, die Misswirtschaft und Korruption des herrschenden Regimes nicht mehr. Sie haben die Nase voll von Frauenunterdrückung, Schleierzwang, Hinrichtungen und Folter. Die Parolen lassen keinen Zweifel, dass die Menschen das Regime insgesamt satt haben. „Revolutionswächter, Schande über euch. Verlasst den Iran!“, rufen sie, oder schlicht: „Tod dem Diktator!“ Und hinter den mutigen Menschen, die bei öffentlichen Protesten ihr Leben riskieren, stehen Millionen weitere, die genauso denken, sich aber noch nicht trauen, auf die Straße zu gehen.

Im Inneren hat das Regime seine Legitimität weitgehend verloren. Es darf deshalb nicht weiter von außen gestützt werden. Die iranische Bevölkerung erwartet nicht, dass die deutsche oder eine andere Regierung das islamische Regime von außen stürzt. Sie erwarten aber, dass die deutsche Regierung dem Regime nicht weiter unter die Arme greift. Deutschland sollte das Regime nicht weiter hofieren und keine Glückwünsche an die Regime-Vertreter senden. Wir sollten das Regime auch nicht weiter finanziell und mit Handelsverträgen unterstützen, denn jeder Tag seines Fortbestehens bedeutet mehr Verbrechen, Mord und Zerstörung, und dies bedeutet Krieg gegen die iranische Bevölkerung. Jeder weitere Tag verlängert außerdem den Krieg der aus dem Iran gesteuerten Milizen gegen die Protestierenden im Irak, im Libanon und in Syrien. Und jeder weitere Tag spitzt die Bedrohung Israels zu.

Mut machen dagegen Bilder aus dem Iran, die Menschen zeigen, die sich öffentlich weigern, der antisemitischen und antiwestlichen Ideologie der Mullah-Diktatur zu folgen. Sie treten nicht mehr auf die Flaggen Israels oder der USA, die Regimekräfte auf die Straßen und vor Gebäude-Eingänge pinseln, um den Hass der Bevölkerung auf Israel und den Westen zu schüren. Dagegen sind auf den Straßen Irans die Parolen zu hören: „Unser Feind ist hier. Wenn jemand sagt, die USA sind unser Feind, ist das eine Lüge“, und: „Nein zur Unterstützung von Terror-Organisationen im Libanon, Irak und Syrien“. Mit diesen Parolen erteilen die Menschen der expansionistischen Politik eine Absage. Auch das Problem der Atombombe wäre nach dem Ende des iranischen Regimes gelöst, denn die Menschen auf der Straßen riefen bereits 2009 eine einfache Wahrheit: „Ein blühender Iran braucht keine Atombombe“. 

Sehr geehrter Herr Bundespräsident, die Menschen im Iran erklären deutlich, dass sie im Frieden mit der gesamten Region leben wollen, auch mit Israel. Sie klagen an, dass sie die islamistische Diktatur satt haben. Und sie appellieren an uns, weil sie die moralische Unterstützung der westlichen Welt brauchen.

Wo stehen Sie, Herr Bundespräsident? Vor einem Jahr gratulierten Sie den Machthabern in Teheran zum 40. Jahrestag der Revolution, was auch in Deutschland zu Protesten führte. Jetzt erklärten Sie bei Ihrem Besuch in der Gedenkstätte Yad Vashem: „Wir bekämpfen den Antisemitismus! Wir stehen an der Seite Israels! Nein zu Judenhass! Nein zu Menschenhass!“ Deshalb muss es mit der Hofierung des iranischen Regimes ein Ende haben. Denn zur Ideologie des iranischen Regimes gehört die Holocaustleugnung wie der Hass auf Israel. Der Plan zur Vernichtung Israels ist die Staatsräson des Regimes, und bei der Verbreitung des politischen Islams, des Israelhasses und des Antisemitismus in der ganzen Welt spielt Teheran eine entscheidende Rolle.

Nach 41 Jahren besteht jetzt die historische Chance, an der Seite der Menschen im Iran zu stehen, die für Freiheit und Demokratie kämpfen. Noch nie war der Druck – von innen wie von außen - auf das Regime so groß wie jetzt. Deutschland darf denjenigen nicht im Weg stehen, die diesem antisemitischen Terror-Regime im Iran endlich ein Ende machen wollen. Wir müssen damit aufhören, eine Diktatur zu stabilisieren, die die eigene Bevölkerung  brutal unterdrückt und alle diejenigen ermordet oder ausschaltet, die sich ihren Machtinteressen in den Nachbarländern in den Weg stellen.

Wir bitten Sie deshalb um ein wichtiges politisches Zeichen. Unterlassen Sie jegliches Zugeständnis an Teheran. Senden Sie kein Glückwunschschreiben nach dort wie im letzten Jahr. Empfangen Sie keine Vertreter des iranischen Regimes mehr im Schloss Bellevue und laden Sie auch keine Vertreter mehr zu sich ein, die vom iranischen Regime beeinflusst werden, wie Vertreter der „Islamischen Gemeinschaft der schiitischen Gemeinden“ (IGS), die kürzlich demonstrativ um den getöteten Terroristen Ghassem Soleimani trauerten.

Setzen Sie ein Zeichen, das auf die Zukunft weist, das den Menschen im Iran und in der gesamten Region Mut macht und empfangen Sie eine Delegation von demokratischen iranischen Oppositionellen im Schloss Bellevue.

Mit freundlichen Grüßen,

  • Aghdas Shabai, Sozialarbeiterin Hannover
  • Dr. Ahmad Rahimi
  • Ali Ertan Toprak, Präsident Bundesarbeitsgemeinschaft der Immigrantenverbände in Deutschland (BAGIV), Bundesvorsitzender Kurdische Gemeinde Deutschland (KGD)
  • Ali Sadrzadeh, Journalist Frankfurt a.M.
  • Ali Utlu, Aktivist Köln
  • Amir Yahya Ayatollahi, Vechta
  • AmirHossein Etemadi, Iran Revival (Farashgard), Former political prisoner
  • Andreas Benl, Mideast Freedom Forum Berlin
  • Arash Sobhani, iranischer Musiker und TV-Host/Producer
  • Ashkan Monazam, Parliamentary Monarchy Iran for Human Rights e.V.
  • Dr. Brigitte Scheuerle, Bildungspolitikerin Frankfurt a.M.
  • Cameron Khansarinia, National Union for Democracy in Iran (NUFDI)
  • Christian Zimmermann, Herausgeber Spotlight Menschenrechte
  • Elisabeth Abendroth, Lehrerin Frankfurt a.M.
  • Farshid Monazam, Parliamentary Monarchy Iran for Human Rights e.V.
  • Fathiyeh Naghibzadeh, Mideast Freedom Forum Berlin
  • Gert Weisskirchen, MdB 1976 – 2009
  • Günter Wallraff, Journalist und Schriftsteller
  • Hamideh Kazemi, Iranische Menschenrechtsinitiative Hamburg
  • Herbert Kramm-Abenroth, Lehrer Frankfurt a.M.
  • Hiwa Bahrami, PDKI’s Head of Foreign Relations
  • Hooshang Javid, Parliamentary Monarchy Iran for Human Rights e.V.
  • Hourvash Pourkian, Vorsitzende der Kulturbrücke Hamburg e. V.
  • Dr. sc. Jilla Siassi, Mathematiker
  • Jochen Feilcke, MdB 1983 - 1998, Vorsitzender Deutsch-Israelische Gesellschaft Berlin und Brandenburg
  • Dr. h.c. Johannes Gerster, MdB 1972-1976 und 1977-1994, Ehrenpräsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft
  • Jörg Rensmann, Mideast Freedom Forum Berlin
  • Dr. Konrad Götz, wissenschaftlicher Mitarbeiter Frankfurt a.M.
  • Lala Süßkind, Jüdisches Bildungswerk für Demokratie- gegen Antisemitismus, JBDA
  • Prof. Dr. Lars Rensmann, Universität Groningen
  • Lea Rosh, Vorsitzende Förderkreis Denkmal für die ermordeten Juden Europas e.V.
  • Prof. Dr. Ludger Schiffler, Freie Universität Berlin
  • Mahshid Pegahi, Frauenrechtlerin Langen
  • Manijeh Erfani-Far, Frauenrechtlerin Frankfurt a.M.
  • Maria Kireenko, Bundesvorstand Junges Forum Deutsch-Israelische Gesellschaft e.V.
  • Mariam Memarsedghi, Democracy Activist
  • Maryam Naderi, Parliamentary Monarchy Iran for Human Rights e.V.
  • Dr. Matthias Küntzel, Politikwissenschaftler
  • Matthias Schröder, Bundesvorstand Junges Forum Deutsch-Israelische Gesellschaft e.V.
  • Maya Zehden, Direktorin ILI - I like Israel e.V.
  • Michael Spaney, Direktor Mideast Freedom Forum Berlin
  • Mina Ahadi, Menschenrechtlerin und Vorsitzende des Zentralrats der Ex-Muslime
  • Monireh Kazemi, Frauenrechtlerin Frankfurt a.M.
  • Morteza Tehrani, Parliamentary Monarchy Iran for Human Rights e.V.
  • Nasrin Amirsedghi, Exiliranerin, DaF- und DaZ-Dozentin
  • Nazanin Keymasi, Parliamentary Monarchy Iran for Human Rights e.V.
  • Nilofar Beyzaie, Theaterpädagogin Frankfurt a.M.
  • Parto e.V. Essen (iranischer Frauenverein)
  • Parviz Dastmalchi, Berlin 
  • Paul Nellen, Dipl.-Pol., Autor und Journalist, Mitglied Grüne Hamburg
  • Peter Schwanewilms, Iran Solidarität Hamburg
  • Philipp Butler, Vizepräsident der Deutsch-Israelischen Gesellschaft e.V.
  • Pouya Bahrami, Iran Liberation Congress
  • Roland Freudenstein, Policy Director at Wilfried Martens Centre for European Studies
  • Roya Hakakian, Autorin, Journalistin, Dokumentarfilmerin, Mitbegründerin des Iran Human Rights Documentation Center
  • Saba Farzan, Iran Revival (Farashgard)
  • Sacha Stawski, Präsident Honestly Concerned e.V. und ILI  - I like Israel e.V.
  • Samuel Salzborn, apl. Professor für Politikwissenschaft, Uni Gießen
  • Shahin Najafi, iranischer Sänger, Songwriter, Rapper
  • Sheina Vojoudi, National Iranian Congress (Zohreh Vojoudijarrah)
  • Shiva Moghaddam, Iran Liberation Congress
  • Dr. Stephan Grigat, Wissenschaftlicher Direktor der STOP THE BOMB Kampagne
  • Prof. Dr. Susanne Schröter, Professorin für Ethnologie an der Goethe-Universität Frankfurt a.M.
  • Thomas Eppinger, Herausgeber des unabhängigen Nahost-Thinktanks „Mena-Watch“
  • Thomas von der Osten-Sacken, Geschäftsführer von Wadi e.v. und freier Publizist
  • Tilman Tarach, Jurist und Publizist
  • Turan Nazemi, Menschenrechtlerin Frankfurt a.M.
  • Ulrike Becker, Mideast Freedom Forum Berlin
  • Wilfried Albishausen, Erster Kriminalhauptkommissar a.D., Duisburg, Ehrenvorsitzender Bund Deutscher Kriminalbeamter Nordrhein-Westfalen